Judasohr – Auricularia auricula-judae

Gebräuchliche Namen: Judasohr, Auricularia, Holunderpilz, Ohrförmiger Becherling, Jelly Ear (englisch), Jew's Ear (englisch), Mu-Err, Mu-Err-Pilz, Chinesische Morchel, Auricularia auricula-judae (lateinisch), Boltcovitka bezová
Lateinischer Name: Hirneola auricula-judae (Auricularia auricula-judae)
Herkunft: Asien, Australien, Europa, Nordamerika
Kurzvorstellung
Zerkleinerter Stroh, Sägemehl oder Maiskolben werden für einen Tag in Wasser eingeweicht. Danach abtropfen lassen und zu zwei Dritteln in Beutel füllen. Die verschlossenen Beutel werden für etwa eine Stunde in einen großen Topf mit Wasser gekocht. Nach dem Abkühlen wird die Pilzbrut (im Handel erhältlich) hinzugegeben, gut durchmischt und der Beutel nur locker verschlossen. Die Lagerung sollte bei 25°C erfolgen, unabhängig vom Lichteinfall. Innerhalb weniger Wochen bildet sich das Myzel. Das Substrat wird an einem warmen Ort gelagert; die Fruchtkörperbildung erfolgt am besten bei 25–30°C – ideal im Gewächshaus, Folientunnel, Aquarium oder Einweckglas. Für ein gutes Wachstum ist viel, aber kein direktes Licht erforderlich. Judasohr soll nicht grün oder weiß geerntet werden, sondern nur gesund und gut geformt. Die Pilze werden gereinigt und getrocknet, wodurch sie ihre schwarze Farbe erhalten. Judasohr lässt sich auch im Freiland kultivieren, günstiger ist jedoch ein Gewächshaus oder Folientunnel wegen der erforderlichen Temperaturen. Holunderstämme und -äste werden auf eine Länge von 1 Meter zugeschnitten. Es werden Löcher mit 15 mm Durchmesser und 20 mm Tiefe (etwa 10 cm Abstand) gebohrt, mit Pilzbrut befüllt und mit geschmolzenem Wachs versiegelt. Die Stämme kommen ins Gewächshaus (optimale Temperatur 30°C und feucht). Nach 30–40 Tagen ist das Judasohr fertig durchwachsen. Je nach Holzqualität kann 3–6 Jahre geerntet werden. Für einen guten Ertrag sind genügend Licht und Feuchtigkeit entscheidend.
Ausführliche Beschreibung
Judasohr ist ein weitverbreiteter Speisepilz, der einst als ungenießbar galt. Moderne Forschungen schreiben ihm krebshemmende, blutzucker- und cholesterinsenkende sowie antikoagulatorische (vorbeugend gegen Thrombosen, Krampfadern und Venenentzündungen) Eigenschaften zu.
Botanische Informationen
Judasohr ist ein häufiger, essbarer Ständerpilz, der überwiegend auf Holunder wächst. Die Fruchtkörper sind muschelförmig, schalen- bis ohrartig geformt, nach oben gewölbt und seitlich am Holz angewachsen, mit einem Durchmesser von 2 bis 10 cm. Sie besitzen eine auffallend knorpelige Konsistenz, sind elastisch, teils durchscheinend und fühlen sich gummiartig bis gallertartig an; bei Feuchtigkeit können sie klebrig sein. Die Innenseite ist kahl, die Außenseite meist leicht behaart; besonders auf der Innenseite zeigen sich geäderte Vertiefungen. Die Farbe variiert von rotbraun bis kastanienbraun, die Unterseite kann heller ausfallen. Judasohr wächst meist in Gruppen, dicht beieinander und übereinander.
Herkunft und Verbreitung
In Mitteleuropa wächst Judasohr sehr häufig, und das das ganze Jahr über, auch im Winter. Es findet sich meist auf lebenden oder abgestorbenen Ästen des Schwarzen Holunders. Der Name „Judasohr“ stammt von der Überlieferung, dass Judas Iskariot sich an einem Holunderbaum erhängt habe. Daraus resultiert auch die englische Bezeichnung „Jew's ear“ beziehungsweise „Jelly ear“.
Judasohr ist in gemäßigten Breiten das ganze Jahr über zu finden und ernährt sich sowohl von totem als auch lebendem Holz. In westlichen Kulturen ist es bereits seit dem 16. Jahrhundert für seine Verwendung in der Volksheilkunde bekannt, vor allem bei Hals- und Augenschmerzen sowie Gelbsucht.
Obwohl ursprünglich ein europäischer Pilz, erlangte er vor allem in China große Beliebtheit. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Judasohr in großem Stil aus Australien nach China exportiert. Heute wird der Pilz als Zutat für chinesische Suppen und Gerichte sowie in der Traditionellen Chinesischen Medizin verwendet.
Verwendung / Dosierung
Auricularia auricula-judae ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen hinsichtlich ihrer potenziellen Heilwirkung. In den 1980er Jahren wurden zwei Glukankomponenten mit antikrebsartigen Eigenschaften erforscht, insbesondere bei Mäusen mit experimentell herbeigeführten Sarkomen. Während der wässrige Extrakt eine schwach ausgeprägte, der nicht-wässrige jedoch eine deutlich stärkere Wirkung zeigte, wurde zudem ein ausgeprägter blutzuckersenkender (hypoglykämischer) Effekt beobachtet. Dies wurde den enthaltenen Polysacchariden zugeschrieben, die bei Mäusen den Blutzuckerspiegel, Insulin im Blut sowie den Zuckergehalt im Urin senkten. Zusätzlich konnten sie die Aufnahme von Zucker aus der Nahrung deutlich vermindern – ein bemerkenswerter Befund jener Zeit.
Eine weitere medizinisch relevante Eigenschaft ist die antikoagulatorische (blutverdünnende) Wirkung eines sauren Polysaccharids; dieser Stoff zeigte sich vielversprechend zur Behandlung von Thrombosen und Krankheiten, die mit Gefäßverschlüssen einhergehen (wie Herzinfarkt).
Studien zum Einfluss auf die Blutplättchenaggregation zeigten darüber hinaus eine positive cholesterinsenkende Wirkung, insbesondere auf das „schlechte“ LDL-Cholesterin. Auricularia auricula-judae gilt daher als hilfreiches Naturprodukt bei erhöhtem Cholesterinspiegel und ist eine der wenigen Pilzarten mit dieser Wirkung.
In der Volksmedizin wurde Judasohr traditionell in Form von Umschlägen zur Linderung von Augenentzündungen und Beschwerden im Nasen-Rachen-Raum verwendet. Im 16. Jahrhundert beschrieb der Kräuterkundler John Gerard die Zubereitung eines Extraktes aus Judasohr durch Kochen in Milch oder Zerdrücken in Bier, der beim Schluckweise Trinken Halsschmerzen lindern sollte. Auch das Gurgeln mit dem wässrigen Extrakt wurde von Carolus Clusius zur Heilung von Halsschmerzen empfohlen. John Parkinson berichtete 1640, dass das Kochen in Milch sowie das Zerquetschen in Weinrebe die einzig wirksamen Arten der Anwendung seien.
Eine weitere genutzte Eigenschaft ist die ausgeprägte Wasseraufnahmefähigkeit (adstringierende Wirkung) des Pilzes. Historische Aufzeichnungen aus Schottland und Irland beschreiben die medizinische Verwendung von Judasohr als Gurgelmittel gegen Halsbeschwerden und als traditionelles Mittel gegen Gelbsucht, nachdem es in Milch aufgekocht wurde. Obwohl der Pilz bereits in der Vergangenheit umfangreich genutzt wurde, fand Judasohr im 19. Jahrhundert kaum Eingang in die Küche, da es als ungenießbar galt.
Heutzutage wird Auricularia auricula-judae weltweit in der Küche geschätzt. Der Pilz ist zart, gallertartig und kann vielseitig verwendet werden, wenngleich er in westlichen Rezepten lange kaum beachtet wurde. Im 20. Jahrhundert nahm seine Beliebtheit z. B. in Großbritannien zu. Sein milder Geschmack macht ihn zu einer interessanten Zutat in Pilzgerichten, auch wenn er häufig als geschmacklich zurückhaltend gilt. Judasohr lässt sich sehr gut trocknen und bei Bedarf wieder rehydrieren – dabei vergrößert er sich beeindruckend. Junge Fruchtkörper sind am schmackhaftesten, sollten aber stets gut durcherhitzt werden. Getrocknet kann Judasohr fein vermahlen und als Bindemittel für Suppen und Soßen verwendet werden.
Inhaltsstoffe
Judasohr enthält einen hohen Anteil an Polysacchariden mit medizinischer Wirkung. Die sauren Polysaccharide bestehen überwiegend aus Mannose, Glukose, Glucuronsäure und Xylose. Auch der Gehalt an Beta-Glukanen wurde wissenschaftlich belegt.
Traditionelle Dosierung
Wie bereits erwähnt sollte Judasohr vor dem Verzehr gründlich gekocht werden. Es wird gerne in würzigen Mischungen mit Fleisch, in Suppen, Krautsalat oder als feine Delikatesse verwendet – die kulinarischen Möglichkeiten sind sehr vielfältig.