Estragon – Artemisia dracunculus

Gebräuchliche Namen: Estragon, Estragonkraut, Drachenkraut, Artemisia dracunculus, Artemisienkraut, Drachenwermut, Dragon, Dragon herb, French tarragon, Russischer Estragon, Tarragon, Estragón, Dragoncillo, Estragao, long hao, tárkony üröm, vaistinis kietis, dragon sagewort
Lateinischer Name: Artemisia dracunculus
Herkunft: Asien, Europa, Nordamerika
Kurzvorstellung
Estragon wächst häufig auf trockenen Wiesen, an Ufern von Flüssen, an Waldrändern und Gebüschen sowie bisweilen in Halbwüsten. Fast überall tritt er an Wegrändern auf.
In mitteleuropäischen Klimazonen ist Estragon meist nicht vollständig winterhart. Zur Überwinterung empfiehlt sich die Pflanze in einem Topf an einen kühlen, frostfreien Ort mit eingeschränktem Gießen zu stellen.
Für optimales Wachstum benötigt Estragon einen warmen, geschützten, lichtreichen Standort. Die Erde sollte gut durchlässig, locker und humos sein. Die Ernte ist bis zu dreimal pro Saison möglich – dazu wird das Kraut auf 20–30 cm zurückgeschnitten und die nadelartige, oberirdische Pflanze in Bündeln getrocknet.
Gesät wird Estragon im April. Er kann ins Freiland, in Topf oder andere Gefäße, auf Balkon, Terrasse oder im Garten gesetzt werden.
Ausführliche Beschreibung
Estragon ist eine bereits seit der Antike bekannte Pflanze, die sowohl in der traditionellen Medizin, Kosmetik als auch in der Lebensmittelindustrie breite Anwendung findet und interessante wissenschaftliche Ergebnisse zeigt.
Botanische Informationen
Estragon ist eine ausdauernde, aromatische Staude mit einem langen, kriechenden Wurzelstock. Der Stängel erreicht eine Höhe von bis zu 150 cm, ist aufrecht, verzweigt, längsgerippt und kahl. Die Blätter sind fleischig, sitzend, ganzrandig oder fein gezähnt, lanzettlich, wechselständig, 2–10 cm lang und 0,2–1 cm breit, mit leichtem Glanz.
Die Blütenstände sind rispenförmig und 15–45 cm lang. Die Blüten sind zwittrig, hellgelb, röhrenförmig und kommen zu mehreren (bis zu 14) in einem Blütenstand vor. Die Frucht ist eine zylindrische, etwa 1 mm lange Achäne.
Herkunft und Verbreitung
Artemisia dracunculus stammt ursprünglich aus Sibirien und dem heutigen Mongolei. In freier Natur ist die Art von Zentralasien bis nach Fernost, in mediterranen Regionen, in Osteuropa und in Nordamerika von Alaska bis nach Nordmexiko verbreitet. Man findet die Pflanze oft auf Wiesen mit alkalischen Böden, in Birkenwäldern, Flussauen, an Berghängen und in Steppen.
Verwendung / Dosierung
Der Gattungsname Artemisia geht vermutlich auf die griechische Göttin Artemis zurück, die als Beschützerin der Jungfrauen galt, da einige Arten einen abortiven Effekt aufweisen. Der Artname dracunculus bedeutet auf Latein „kleiner Drache“, „Schlange“ oder „Wurm“ und bezieht sich wohl auf die schmalen, zungenförmigen Blätter.
Historische Verwendung
Pietro Andrea Mattioli (1501–1577) beschreibt Estragon (Dragoncell, Dracuncellus, Dragoncellus, Dracunculus esculentus) als aromatisch, mit scharfem Geschmack, wärmender Wirkung und appetitanregend. Traditionell wurde die Pflanze äußerlich zusammen mit Honig und Speichel angewendet. Auch Avicenna kannte sie als „tarcon“.
Laut dem „Herbarium“ von Simon Syrennivs aus dem 17. Jahrhundert wird die Pflanze auf Polnisch „torchun“ genannt, die Blätter als „lang wie Flachsblätter“ und der Geschmack als „würzig“ beschrieben. Estragon besitzt trocknende, wärmende, anregende Eigenschaften, wirkt gegen Zahnschmerzen, „befreit den Kopf von Schleim“, unterstützt die Verdauung und wirkt harntreibend. Estragon wurde traditionell wie Kopfsalat gegessen oder mit Kohl und Salz serviert, zum Würzen von Salaten und Fleisch verwendet und galt als appetitanregendes Gewürz.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde Estragon in Europa vor allem als Küchenkraut und weniger als Heilpflanze eingesetzt, wie zahlreiche Pharmakopöen belegen (Brunsvig 1777, Pharmacopoea Hispanica 1798, Pharmacopoea Wirtemberica 1798).
Anwendung in der Lebensmittelindustrie
Die US-amerikanische Lebensmittelbehörde (FDA) führt getrocknete Blätter und blühende Triebe von Artemisia dracunculus als Bestandteil von Estragon auf. Er dient als beliebtes Gewürz für Fleisch, Saucen, Reisgerichte, Fisch und Marinaden. Dank seiner konservierenden Eigenschaften wird Estragon häufig zum Einlegen von Kohl, Gurken, Kürbis, zur Herstellung von Estragon-Senf und Kräuteressigen verwendet. Er findet sich in Essigen, Erfrischungsgetränken und sowohl alkoholischen als auch alkoholfreien Drinks wie dem „Tarkhun” – ein kohlensäurehaltiges Erfrischungsgetränk, dessen Hauptzutat frische Estragonblätter sind. Frische Estragonblätter eignen sich hervorragend als Beilage oder Dekoration für Fleischgerichte und in Gemüsesalaten.
Die Verwendung variiert von Land zu Land. Estragon ist ein zentrales Gewürz der französischen Küche. Französischer Estragon ist für seinen frischen, süßen und leicht herben Duft bekannt. Er wird frisch oder getrocknet, fein gehackt verwendet. Getrocknet verliert Estragon jedoch schnell sein Aroma – am beliebtesten ist die frische Pflanze. In Frankreich ist Estragon essentiell für Dijon-Senf, Cremesaucen und Mayonnaise. In Armenien würzt er Gemüse, Fisch und Fleisch. In Slowenien würzt er traditionelles Gebäck wie „Potica“. In den USA nutzt man ihn für Essig, Remouladensoßen und Meeresfrüchte.
Auch in der türkischen Küche ist Estragon ein typischer Bestandteil. Die Blätter haben einen bittersüßen, würzigen Geschmack und aromatisieren Wein- und Fruchtessig, Kräuterbutter, Geflügel, gebratenes und geschmortes Fleisch, eingelegtes Gemüse, Senf, Gurken, chinesische und französische Gerichte, Reis und gedünsteten Fisch. Sowohl frische als auch getrocknete Blätter eignen sich als Gewürz und verleihen Speisen eine charakteristische würzig-herbe Note.
Estragon ist ein beliebter Geschmacksträger für Erfrischungsgetränke in Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Russland, Ukraine und Kasachstan und eine der Hauptzutaten im georgischen Nationalgericht Chakapuli. Im Iran wird Estragon als Beilage („sabzi khordan“), in Eintöpfen und besonders für persisch eingelegte Gurken („khiar shoor“) eingesetzt.
Estragon ist eine der vier klassischen Kräuter der französischen Küche und eignet sich besonders für Geflügel, Fisch und Eiergerichte. Frische, leicht angequetschte Estragonzweige werden häufig in Essig eingelegt.
Fachstudien weisen darauf hin, dass hydroethanolische Extrakte von Artemisia dracunculus aufgrund ihrer antimikrobiellen Aktivität als potenzielles natürliches Konservierungsmittel in Lebensmitteln eingesetzt werden könnten.
Traditionelle Heilkunde
Estragon findet Anwendung gegen Darmparasiten (Madenwürmer, Spulwürmer). Bereits der Arzt und Botaniker Ibn Baithar im 13. Jahrhundert berichtete von der Nutzung frischer Estragonsprossen, die in Gemüse gekocht oder deren Saft Getränken beigemischt wurde.
Weitere Anwendungsgebiete in der Volksmedizin sind Appetitlosigkeit (fördert die Gallensekretion) und die Behandlung von Darmparasiten. Estragon regt die Gallenbildung an, wirkt mild harntreibend, appetitanregend und verdauungsfördernd. Er lindert krampfartige Beschwerden bei Verdauungsstörungen.
Daneben besitzt Estragon leichte anästhesierende und sedierende Eigenschaften. Als Kräutertee wirkt er beruhigend und kommt bei Hyperaktivität zum Einsatz.
Traditionell wird Estragon bei Krankheiten des Verdauungstraktes und zur Appetitanregung genutzt. Darüber hinaus soll er den Stoffwechsel fördern. Er findet sich auch als schmerzstillendes Mittel bei Zahn- und Schnittverletzungen. In Europa wurde Estragon zudem bei Verstopfung, Darmkrämpfen, Geschwüren und sogar Krebs eingesetzt.
In arabischen Kulturen verwendete man Estragon gegen Schlaflosigkeit, Zahnfleischentzündung, Maul- und Klauenseuche. In Zentralasien einschließlich Russland galt Estragon als Mittel gegen Reizungen, allergische Hautausschläge, Gastritis, Dyspepsie, Dermatitis sowie als appetitanregendes und verdauungsförderndes Mittel. In Aserbaidschan ist er als Antiepileptikum bekannt. In der indischen Ayurveda-Medizin dient Estragon gegen Helminthiasis, Darmkrämpfe, Fieber verschiedenster Ursache und gilt als Tonikum, Immunstimulans und reguliert den Menstruationszyklus. Im kaschmirischen Volkswissen wurde Estragonpaste bei Wunden an den Beinen von Yaks und Eseln aufgetragen. Extrakte wurden traditionell zur Behandlung von Zahnschmerzen, Fieber, Ruhr, Magenwürmern und Bauchschmerzen verwendet.
Medizinische Forschung
Aktuelle Studien belegen vielseitige biologische Wirkungen von Estragonextrakten aus dem Kraut und/oder Blättern sowie aus dem ätherischen Öl. Zu den bestätigten Eigenschaften zählen antibakterielle, antimykotische sowie antiparasitäre Effekte, daneben bemerkenswerte antioxidative, immunmodulatorische und antineoplastische Wirkungen. Ferner wurden leberschützende, blutzuckersenkende und regulierende Effekte auf die Schilddrüse dokumentiert. Auch eine antidepressive Wirkung ist nachgewiesen. Die in der traditionellen Medizin beschriebenen entzündungshemmenden und schmerzstillenden Eigenschaften wurden bestätigt.
Wirkstoffe
Analysen mittels Gaschromatographie/Massenspektrometrie zeigen, dass das ätherische Öl von Artemisia dracunculus vor allem Phenylpropanoide wie Estragol (16,2 %), Methyleugenol (35,8 %), Elemicin und trans-Anethol (21,1 %) enthält.
Phenylpropanoide (73,5 %) stellen die Hauptgruppe der ätherischen Verbindungen. Monoterpenoide (24,3 %) und Sesquiterpenoide (0,2 %) sind im Öl in deutlich geringerem Umfang vertreten.
Zu den weiteren Hauptbestandteilen zählen Terpene und Terpenoide – darunter α-trans-Ocimen (20,6 %), β-Ocimen, cis-Ocimen, Limonen (12,4 %), α-Pinen (5,1 %), Allo-Ocimen (4,8 %), Methyleugenol (2,2 %), β-Pinen (0,8 %), Terpinenol, Anethol, Phellandren, Artemidin, Kapillin, α-Terpinolen (0,5 %), Bornylacetat (0,5 %), Ocimen und Bicyclogermacren (0,5 %). Aus der Pflanze wurde auch cis-Pellitorin und Isobutyramid zur Erzeugung des scharfen Geschmacks isoliert.
Estragon enthält zahlreiche Cumarine – insbesondere Herniarin, Cumarin, Skopoletin, Skoparon, Drakumerin, Esculetin, Esculin und Kapillarin. Der Gesamtgehalt an Cumarinen übersteigt 1,0 %.
Zudem sind Flavonoide enthalten; in Wildpflanzen schwankt der Gehalt zwischen 0,5 und 1,9 %, unter Kultivierung sind bis zu 4,9 % möglich. Für diesen Typ charakteristisch sind Quercetin, Kaempferol, Luteolin, Isorhamnetin und deren Glykoside, Naringenin, Annagenin (5,6,7,8,4'-Pentahydroxy-3'-methoxyflavon), Pinocembrin.
Extrakte enthalten nachweislich phenolische Säuren, insbesondere Chlorogensäure, Kaffeesäure und Vanillinsäure. Zu weiteren gefundenen Verbindungen gehören Alkamide (Neopellitorin A, Neopellitorin B, Pellitorin), Polyacetylene, Tannine, Bitterstoffe, Vitamin C, Fettsäuren, Sterole, Jodverbindungen und Peroxidase.
Traditionelle Dosierung
Je nach Extrakt wurden in experimentellen in-vivo-Studien Dosen zwischen 5 und 400 mg/kg Körpergewicht (meist injiziert) verwendet.
In traditioneller Anwendung sollte die Einzeldosis 1 g, die Tageshöchstdosis 3 g Estragonkraut nicht überschreiten. Die Anwendung wird als akut oder kurzfristig empfohlen. Estragon sollte nicht während Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden.